Dominique de Villepin: “Ich schlage die Schaffung eines Bürgereinkommens vor.”

Ronald Blaschke 07.03.2011 Druckversion

Dominique de Villepin, französischer Ex-Premierminister auf dem Ticket des konservativen Parteibündnisses Union pour un mouvement populaire und jetzt Präsident der von ihm im Juni 2010 neu gegründeten Partei République Solidaire, veröffentlichte in der französischen linksliberalen Tageszeitung Libération vom 1. März 2011 einen Vorschlag für ein Bürgereinkommen unterbreitet (der Artikel als pdf-Dokument auch hier und hier).

Villepin begründet den Vorschlag so: „Jahrhundertelang hat die Menschheit kein anderes Ziel gehabt, als das eigene Überleben zu sichern. Die industrielle Revolution hat das innerhalb von zwei Jahrhunderten geändert. Täglich erfahren wir die einfache Wahrheit: Es gibt Überfluss, aber nicht für alle. Wir sind eine Nation, reich an langer Vergangenheit und einem lange angesammelten Erbe. Ist es nicht natürlich, dass jeder Franzose ein Anrecht auf einen Anteil am nationalen Erbe hat? Ist es nicht notwendig, dem Bürger die Freiheit zu verleihen, sich den Angelegenheiten des Gemeinwesens zu widmen, so wie heute die Geschworenen oder wie einst die Bürger im antiken Athen? Ist es nicht nützlich, von der freien Entfaltung der Fähigkeiten eines jeden zu profitieren? Früher war dies nicht möglich und vielleicht auch nicht wünschenswert. In Frankreich ist es jetzt aber sowohl möglich als auch wünschenswert geworden – wegen der Massenarbeitslosigkeit, der demokratisierten Bildung, der Emanzipation der Frau. Im Laufe des 21. Jahrhunderts werden sich die entwickelten Länder diesen einfachen, modernen und gerechten Lösungen zuwenden. Ich schlage die Einrichtung eines Bürgereinkommens vor. Es würde sich um ein Einkommen handeln, das allen garantiert ist, in einer Größenordnung von 850 Euro. Also das strikt Notwendige. Kein Luxus, wie alle, die von solchen Beträgen leben müssen, bestätigen werden. Aber es bildet einen Sockel, auf dem ein würdiges und freies Leben aufgebaut werden kann. Dieses Einkommen wäre degressiv bis zur Höhe des mittleren Einkommens von rund 1500 Euro. Mit einem solchen Einkommen würde die moralische Verpflichtung zur Ausübung einer Tätigkeit geschaffen – Erwerbsarbeit, Ausbildung, Ehrenamt, politische oder gewerkschaftliche Aktivität, künstlerisches Schaffen. Gekoppelt an eine grundlegende Reform der Einkommensteuer, fusioniert mit der CSG (allgemeine Sozialabgabe), deren Progression auszubauen ist und die an der Quelle erhoben werden muss, wird dieses Einkommen in Echtzeit bei einem Rückgang der Einkommen ausgeschüttet werden, ohne die verheerenden Verzögerungen, welche bei unseren Sozialleistungen die Regel sind. Es wird zu großen Teilen durch die Neuverteilung bestehender Hilfeleistungen finanziert, durch Einsparungen beim administrativen Aufwand sowie durch gezielte Erhöhung von Steuern, Mehrwertsteuer und der oberen Klassen der Einkommensteuer.“ *

Zu diesem Vorschlag kommen noch einige andere Vorschläge, zum Beispiel die Einführung eines Zivildienstes, obligatorisch für junge Menschen und offen für alle Altersklassen, Kredite an kleine und mittelständische Unternehmen, eine Aufsichtsbehörde für das Wohnungswesen (wegen der vielen leer stehenden Wohnungen und hohen Mieten), bürgerbezogene öffentliche Dienste (im Gegensatz zu unternehmensbezogenen Diensten), zum Beispiel medizinische Versorgung für benachteiligte Bürger, Bildung, Rechtshilfe und mehr Mitbestimmung der Erwerbstätigen.

In einem Interview sagt Villepin zu seinem Vorschlag: „Ich schlage die Einführung eines Bürgereinkommens vor für alle Menschen, die in finanziellen Schwierigkeiten bzw. unter der Armutsschwelle leben. Ein Bürgereinkommen von 850 Euro, welches bei steigenden Einkommen sinkt und allen Franzosen ein menschenwürdiges Leben erlaubt.“ Weiter werden der Ausbau der öffentliche Sozialstrukturen vorgeschlagen und mehr Mitbestimmung der Erwerbstätigen, zum Beispiel in Verwaltungsräten.

Beide Aussagen zu dem neuen Transfersystem „Bürgereinkommen“ lassen nicht eindeutig auf einen Grundeinkommensvorschlag schließen, da einmal von einem Transfer für alle, ein andermal von einem Transfer für Arme gesprochen wird. Dies hat sicherlich damit zu tun, dass es sich um einen Transfer nach einem Verrechnungsmodell (vgl. Jörimann 2010) handelt, welcher bei steigendem Einkommen durch die Sozial- oder Finanzbehörden minimiert wird. Positiv ist auf jeden Fall die Begründung des Transfers aus dem gemeinsamen Erbe, wenn hier auch nur aus dem nationalen Erbe – mit der möglichen Folge der Transferbedingung Staatsbürgerschaft. Villepin nutzt auch bekannte Argumente für ein Grundeinkommen, zum Beispiel den Transfer als eine Art Demokratiepauschale oder „Diäten light für alle“ (vgl. Kipping 2009), als Voraussetzung für die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der Gestaltung des öffentlichen Lebens und am Aushandeln von Rahmenbedingungen für ein gutes Leben für alle (vgl. Baumann 2000, Blaschke 2006) und den Transfer als Grundlage der freien Entfaltung individueller Fähigkeiten (vgl. Blaschke 2010).

Problematisch ist, dass de Villepin sich mit der Höhe des Transfers nicht an der Armutsrisikogrenze orientiert, wie es zum Beispiel die Beschlusslage des Europäischen Parlaments vorsieht. Die Armutsrisikogrenze (60 Prozent des äquivalenzgewichteten Mediannettoeinkommens) lag in Frankreich bereits im Einkommensjahr 2008 bei 988 Euro im Monat (vgl. Statistisches Bundesamt). Villepins Vorschlag liegt damit ca. 150 Euro unterhalb der Armutsschwelle in Frankreich. Einkommensarmut würde damit nicht aufgehoben.

Es bleibt also abzuwarten, wie sich der Vorschlag von de Villepin entwickelt und vor allem, wie sich die französische Zivilgesellschaft dazu verhält. An dieser Stelle kann angekündigt werden, dass Adeline Otto Mitte des Jahres eine Übersicht über Modelle und Ansätze von Grundsicherungen und Grundeinkommen, die in Frankreich diskutiert werden, veröffentlicht.

*Der vollständige Text des Artikels von Dominique de Villepin in der „Libération“ in deutscher Übersetzung hier.

Literatur:

Baumann, Zygmunt: Die Krise der Politik. Fluch und Chance einer neuen Öffentlichkeit. Hamburg, 2000, S. 257-270.

Blaschke, Ronald: Freiheit – Liberale Demokratie – Bedingungsloses Grundeinkommen. In: Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt – Österreich, Netzwerk Grundeinkommen – Deutschland (Hrsg.): Grundeinkommen – in Freiheit tätig sein. Beiträge des ersten deutschsprachigen Grundeinkommenskongresses. Berlin, 2006, S. 33-45.

Blaschke, Ronald: Denk’mal Grundeinkommen! Geschichte, Fragen und Antworten einer Idee. In: Blaschke, Ronald; Otto, Adeline; Schepers, Norbert (Hrsg.): Grundeinkommen. Geschichte – Modelle – Debatten. Berlin, 2010, S. 9-290. „URL“:http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Publ-Texte/Texte_67.pdf

Jörimann, Albert: Das Verrechnungsmodell (Clearing-Modell). In: BIEN-Schweiz (Hrsg): Die Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Zürich, 2010, S. 60-86.

Kipping, Katja: Ausverkauf der Politik. Für einen demokratischen Aufbruch. Berlin, 2009.

2 Kommentare

Guillaume Aubry schrieb am 07.03.2011, 16:48 Uhr
Viktor Panic schrieb am 10.04.2011, 00:28 Uhr

Wie wollen wir das bedingungslose Grundeinkommen eigentlich erreichen? Indem wir abwarten, bis wir die Wählermehrheit von unserer Vorstellung davon überzeugt haben? Während wir gleichzeitig jeden, der ein ähnliches Konzept vertritt, als hinterhältigen Neokapitalisten verunglimpfen?

Was de Villepins Konzept angeht: Auch ich bekomme Bauchschmerzen bei der Formulierung, mit einem solchen Einkommen würde eine \"moralische Verpflichtung\" zur Ausübung einer Tätigkeit geschaffen. Selbst wenn er damit die Abschaffung der von Sarkozy eingeführten Verpflichtung zur Arbeitssuche meint, kann daraus leicht eine staatliche \"Nützlichkeits-\"Prüfung abgeleitet werden. Doch immerhin will de Villepin damit auch künstlerische, ehrenamtliche und politisch/gewerkschaftliche Aktivität gewürdigt wissen, Tätigkeiten, die in deutschen JobCentern meines Wissens nicht anerkannt werden.

Als Sarkozy vorletztes Jahr das RSA (Revenu de Solidarité Active) einführte, welches dem liberalen Bürgergeld der FDP ähnelt, habe ich dies euphorisch als Durchbruch gefeiert und prophezeit, Frankreich werde den damit eingeführten Arbeitszwang bald wieder abschaffen und dadurch als erstes Land ein echtes Grundeinkommen einführen. Und nun: Sarkozys Erzfeind, ebenfalls ein Konservativer, und chancenreicher Präsidentschaftskandidat, spricht bereits von einem \"Bürgereinkommen\"!

Ronald Blaschkes Kritik an dem Konzept ist doch recht kleinlich: Dass von einem Transfer für Arme die Rede ist, ist eigentlich selbstverständlich - ein Transfer, bei dem es nur Empfänger, aber keine Zahler gibt, ist doch gar nicht möglich. Das Wort \"alle\" benutzt de Villepin in diesem Zusammenhang nur, indem er den Betrag allen garantiert. Was \"Garantien\" angeht, ist normalerweise umso mehr Vorsicht geraten, dahinter verbirgt sich oft nur ein Sozialhilfe-Modell, bei welchem jeglicher Zuverdienst voll angerechnet wird. Doch in Frankreich braucht man sich diesbezüglich keine Sorgen zu machen, denn Sarkozys RSA hat einen Tatsache geschaffen, die kein Politiker mehr rückgängig machen kann: Einkommen wird nur noch zu 38% angerechnet, so heißt es jedenfalls. Auch de Villepin setzt dies fort, indem das Bürgerinkommen erst bei (rund) 1500 Euro abgeschmolzen ist. Dies ergibt allerdings eine Anrechnung von 56,67% (1500 Euro brutto ergeben einen Zuverdienst von 650 Euro, also werden 850 angerechnet, 56,67 Prozent von 1500), da besteht noch Nachbesserungsbedarf.

Was die Frage des Berechtigtenkreises angeht, d.h. ob nur Staatsbürger Anspruch darauf haben, so möchte ich besonders darauf hinweisen, dass Frankreich traditionell sehr großzügig mit der Vergabe seiner Staatsbürgerschaft ist: Jeder in oder über französischem Staatsgebiet geborene Mensch erhält automatisch die Staatsbürgerschaft, selbst wenn sich die Eltern auf Durchreise oder illegal im Land aufhalten. Somit betrifft dieses Frage nur Einwanderer, und die Auffassung ist weit verbreitet, dass es Irrsinn wäre, Einwanderern sofort einen vollen Grundeinkommensanspruch zu gewähren.

Blaschkes schärfste Kritik bezieht sich auf die Höhe des Betrages. Dem kann ich nicht zustimmen. Der von ihm verlangte Betrag nennt sich \"Armutsrisikogrenze\", nicht \"Armutsgrenze\", und das mit gutem Grund: Es handelt sich nicht um eine absolute, sondern um eine relative Grenze, die abhängt vom unterschiedlichen Reichtum der einzelnen Staaten. Das heißt, dass eine Person aufgrund ihres Einkommens in einem Land über der Grenze liegt, nach einem Umzug jedoch darunter, selbst wenn die Lebenshaltungskosten in beiden Ländern gleich hoch sein sollten. Das wäre unsinnig, und zu diesem Zweck ist die Armutsrisikogrenze auch nicht konzipiert worden. Sondern dazu, die soziale Ausgewogenheit verschiedener Systeme vergleichen zu können. Im Übrigen warne ich dringend davor, den Median zum Maß aller Dinge zu machen. Meines Erachtens wird er von den Interessenvertretern der Reichen und Superreichen gern genutzt, um die wachsende Schere zwischen Arm und Reich zu verschleiern! Hartz IV führt zur Verarmung der breiten Masse der Bevölkerung, so dass der Einkommens-Median weit hinter das Durchschnittseinkommen zurückfällt.

Zur \"französischen\" Kritik, auf die Guillaume Aubry verlinkt, braucht man nicht viele Worte zu verlieren: Wer behauptet, de Villepins Modell habe \"absolument rien\", also absolut nichts mit einem bedingunslosen Grundeinkommen gemeinsam, betreibt pure Polemik. Ebenso könnte man sagen, dieser Kommentator habe \"absolut nichts\" verstanden, denn er disqualifiziert sich selbst durch seine Vergleichsrechnung, weil er offensichtlich nicht verstanden hat, dass mit \"degressiv\" eine lineare(?) Abschmelzung des Bürgereinkommens gemeint ist, d.h. je höher das eigene Einkommen, desto niedriger der Zuschuss, allerdings so, dass eigenes Einkommen dennoch zu einem Einkommenszuwachs führt. Er missversteht das Modell jedoch als \"Kappungsgrenze\". Nun könnte man zwar sagen, so ein Missverständnis könne mal passieren, und Villepin habe sich unklar ausgedrückt; aber nein, genauso funktioniert auch ein Grundeinkommen, wenn man die vom Bürger erwirtschaftete Steuer berücksichtigt, die zur Finanzierung des Grundeinkommens notwendig ist, sei es als Einkommens- oder Komsumsteuer oder gemischt. Wenn er also de Villepins Modell missversteht, beweist dies, dass er sich auch mit dem Grundeinkommen nicht auskennt.

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