Paradiesparadox, Grundeinkommen und die Macht
Sobald Maschinen alles produzieren, verhungert der Mensch. Dieses „Paradiesparadox“ beschrieb der russische Wirtschaftsnobelpreisträger Wassily Leontief im Jahr 1982 und sah die Rettung in einer anderen Einkommenspolitik. Er schrieb:
„Adam und Eva erfreuten sich vor ihrer Vertreibung aus dem Paradies eines hohen Lebensstandards ohne Arbeit. Erst nach ihrer Vertreibung waren sie und ihre Nachkommen dazu verdammt, sich mühsam durchzuschlagen und vom Morgengrauen bis zum Einbruch der Dämmerung zu arbeiten. Die Geschichte des technologischen Fortschritts der letzten 200 Jahre ist im Grunde die Geschichte der Menschheit, sich langsam und stetig den Weg zurück ins Paradies zu bahnen. Was würde aber geschehen, wenn wir uns plötzlich dort wiederfänden? Alle Güter und Dienstleistungen wären ohne Arbeit zu haben, so dass niemand mehr beschäftigt würde. Arbeitslos sein hieße aber, keinen Lohn zu bekommen. Folglich würde jeder solange im Paradies hungern, bis eine neue, den veränderten technologischen Bedingungen angepasste Einkommenspolitik formuliert würde.“ (Leontief 2007: 173)
Ich gehe davon aus, dass der Zustand („alle Güter und Dienstleistungen wären ohne Arbeit zu haben“), welchen Leontief beschreibt, nicht eintritt – aus Gründen, die hier nicht Gegenstand der Diskussion sein sollen. Aber es gibt angesichts der Logik des Paradiesparadoxes gute Gründe, für eine andere „Einkommens“-Politik, besser gesagt, für eine andere Politik der Verteilung zu plädieren: nämlich für eine Politik, bei der die Verteilung von Gütern und Dienstleistungen vollständig von der Lohn- bzw. Erwerbsarbeit abgekoppelt ist. Oder zumindest teilweise, wie zum Beispiel in Form des Grundeinkommens, solange Lohn- bzw. Erwerbsarbeit nötig wäre. Leontief schlug eine Zwischenlösung vor, die in Richtung Grundeinkommen geht: „Was mir vorschwebt, ist ein Bündel sozialer und ökonomischer Maßnahmen, um durch einen Transfer von anderen Einkommensströmen die Einkommen der Arbeiter und Angestellten, die sie durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt erhalten, zu ergänzen.“ (ebd.) Konkret schlug er eine Art Lohnersatz für verkürzte bzw. eine Lohnergänzung für kurze Arbeitszeit vor: „Dazu könnte man […] staatliche Zulagen für diejenigen gewähren, die weniger als die normale Anzahl von Stunden pro Woche arbeiten.“ (ebd.: 175) Mit dem Lösungsansatz Grundeinkommen oder in diese Richtung zielende Vorschläge für einen staatlichen Lohnausgleich für kurze bzw. verkürzte Erwerbsarbeitszeit enden dann oft die Diskussion, die vor dem Hintergrund der automatisierten Produktion geführt werden.* Es gibt darüber hinaus aber viel mehr zu bedenken. Bleiben wir beim Gedankenspiel des Paradiesparadoxes und überlegen weiter.
Aufhebung kapitalistischer Produktion und Distribution
Wie schon Leontief sagte, würde es, wenn Maschinen alle Güter und Dienstleistungen produzieren, keine Lohn- bzw. Erwerbsarbeit mehr geben, für die man Arbeitszeit und -kraft (ver-)kaufen kann bzw. muss. Somit entstünde kein Lohn- bzw. Erwerbseinkommen und niemand könnte sich das von den Maschinen Produzierte kaufen. Um die produzierten Güter dennoch nutzen zu können und nicht inmitten der Fülle zu „verhungern“, müsste die Gesellschaft einen Zugang zu Gütern und Dienstleistungen unabhängig von Lohn- bzw. Erwerbsarbeit sichern. Die vollständige Entkopplung der Existenzsicherung von Lohn- bzw. Erwerbsarbeit ließe sich zum Beispiel durch bedingungslos verteilte Anteilsscheine für den Zugang zum gesellschaftlichen Reichtum an alle von Automaten produzierten Gütern und Dienstleistungen erreichen. Eine andere Möglichkeit wäre der freie Zugang zu als öffentlich deklarierten Angeboten und Gütern, zum Beispiel gebührenfreie Nutzung öffentlicher Infrastruktur und allgemein zugängliche Läden, in denen man sich nehmen kann, was zum Leben gebraucht wird – ganz nach dem Prinzip des russischen Anarchisten Fürst Pjotr Alexejewitsch Kropotkin: „Nehmet soviel, wie ihr bedürft!“ (Kropotkin o. J.). Hier könnten die Menschen die Maschinenprodukte ohne Bezahlung konsumieren, genauso wie Adam und Eva ohne Bezahlung über die vorhandenen Früchte der Natur verfügten. Damit würde das heutige Wirtschaftssystem mit seinen Markt- und Wertschöpfungsmechanismen, die auf den Einsatz von bezahlter Arbeitskraft (in Form von Lohn- bzw. Erwerbsarbeit) beruhen, außer Kraft gesetzt. Auch Steuerpolitik würde obsolet: Wenn es keine Einkommen aus Lohn- bzw. Erwerbsarbeit mehr gäbe, auch keine Umsätze, wäre natürlich auch keine Einkommen- oder Umsatzsteuer möglich, denn es wird ja nichts mehr ge- oder verkauft. Es bräuchte auch keine Steuern, um Ausgaben für öffentliche Güter und Dienstleistungen zu finanzieren, denn die Automaten würden diese Güter und Dienstleistungen schaffen.
Das Grundeinkommen wird nun von einigen als Lösungsansatz für eine Gesellschaft gedacht, in der Güter und Dienstleistungen unter Einsatz von immer weniger menschlicher bezahlter Arbeitskraft produziert werden. In diesem Fall kann man von einer Übergangsgesellschaft sprechen. Auch hier müssen aber die Folgen für die Steuerpolitik bedacht werden: Das Grundeinkommen, letztlich alle frei zugänglichen, Güter und Dienstleistungen ließen sich immer weniger durch Steuern auf Lohn- bzw. Erwerbseinkommen, auf Gewinne und Kapitalerträge, auf Umsätze oder Konsum finanzieren. Das heißt, die Verteilung in einer solchen sich entwickelnden „Paradiesgesellschaft“ erfolgt immer weniger über steuerlich abgeschöpfte Markteinkommen, sondern sie müsste ohne die Abschöpfung von Markteinkommen politisch reguliert werden. André Gorz schreibt dazu: „Eine Ökonomie, die immer mehr Waren mit immer weniger Arbeit erzeugt […], kann nicht steigende Transferleistungen durch die Besteuerung von Löhnen und Mehrwert finanzieren. […] Geld in seiner herkömmlichen Form muss von anderen Verteilungsmedien komplementiert werden.“ (Gorz 2009: 81)
Eigentums- und Machtfragen bleiben
Diese Überlegungen zum Paradiesparadox und zum Grundeinkommen stellte André Gorz in seinen Büchern „Kritik der ökonomischen Vernunft“ (Gorz 1994) und „Arbeit zwischen Misere und Utopie“ (Gorz 2000) an. Dabei verwies er auch auf die „Distributionisten“ um den französischen Industriellen und Politiker Jacques Duboin, die sich zwischen 1935 und 1955 für eine der „politischen Ökonomie der Fülle“ entsprechende Verteilung engagierten. Die Gedanken von Duboin und Gorz werfen allerdings Fragen auf, die sowohl für „Paradies“-Gesellschaften als auch für eine Grundeinkommensgesellschaft oder eine Gesellschaft mit teilweise frei zugänglichen Güter und Dienstleistungen, also für eine „Teilparadies“-Gesellschaft, gelten: Wer bestimmt in diesen Gesellschaften nach welchen Kriterien, was und wie viel die Maschinen produzieren, das dann zur Verteilung zur Verfügung steht? Wer entscheidet in diesen Gesellschaften, ob die produzierten Güter ökologisch vertretbar, funktional und schön sind oder nicht? Hier handelt es sich letztlich um Macht-, Eigentums- und Verfügungsfragen. Ähnliche Fragen stellen sich auch bei der Verteilung: Wer bestimmt in diesen Gesellschaften nach welchen Kriterien, was und wie viel dem Einzelnen oder einer bestimmten Menschengruppe an Gütern zugestanden wird?
Mindestens zwei Szenarien sind denkbar: In einer demokratisch-humanistisch geprägten Gesellschaft würde allen der gleiche Anteil an dem gesellschaftlichen Reichtum an Gütern und Dienstleistungen zugestanden. Die Produktion der Maschinen würde demokratisch so geregelt, dass jeder Mensch genug für ein Leben ohne Not, sogar genug für ein gutes Leben mit schönen, funktionalen und ökologisch vertretbaren Gütern hätte. Bei einer demokratisch geregelten Verteilung ohne humanistische Prinzipien können sich aber auch Strukturen ergeben, die zwar der Mehrheit Vorteile bringen, aber Einzelne oder bestimmte Menschengruppen benachteiligen bzw. bevorzugen.
Bei diktatorisch-autoritärer Verteilung würde eine Minderheit mehr bekommen als die Mehrheit. Die Mehrheit müsste sich womöglich mit unökologischen, gesundheitsschädlichen Gütern begnügen. Auch über die Produktion würde durch die Minderheit bestimmt, über die Produktionsmacht würden nur wenige verfügen. Produktion und Distribution entsprächen dann der heutigen kapitalistischen Produktions- und Distributionsweise.
Es ist mit dem „Paradies“, in dem Maschinen alles Notwendige und darüber hinaus Gewünschtes produzieren, also nicht ganz so einfach. Ebenso nicht mit einem „Teilparadies“ mit Grundeinkommen. Es könnte in beiden ein diktatorisch-autoritäres Produktions-, Verteilungs- und Konsumtionsregime herrschen. Es könnte aber auch eine demokratisch-humanistisch verfasste Gesellschaft existieren, oder auch Mischungen aus beiden oder andere Formen. Anders ausgedrückt: Die Möglichkeit, dass alle Menschen bedingungslos abgesichert leben, entscheidet noch nicht darüber, wer die Macht über Produktion, Verteilung und Konsumtion hat. Diese politische Frage, bleibt wie andere Fragen, mit dem Grundeinkommen ungelöst. Allerdings, und dies ist schon sehr viel, gibt eine grundlegende bedingungslose Absicherung allen Menschen die Möglichkeit, sich aktiv und frei von materieller Erpressbarkeit in die Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnissen einzubringen – also auch Eigentums- und Machtfragen mitzuentscheiden.
* Es gibt noch andere Lösungsmöglichkeiten der Verteilung in einer Gesellschaft, die sich in Richtung einer vollautomatisierten Produktion entwickelt: die Erhöhung des Lohn- bzw. Erwerbseinkommens bei sich ständig reduzierender Arbeitszeit (und die Beibehaltung bedürftigkeitsgeprüfter und bei Arbeitsfähigkeit mit Arbeitszwang verbundener Grund-/Mindestsicherungssysteme für nicht Erwerbstätige). Diese Möglichkeit der Umverteilung, die gekoppelt an den Lohn- bzw. Erwerbsarbeitseinsatz bleibt (ob nun auf einem Arbeitsmarkt oder in einer Planwirtschaft), ist erst dann nicht mehr möglich, wenn wirklich alles von Automaten produziert wird, was benötigt und für sinnvoll angesehen wird. Deutlicher ausgedrückt: Eine Gesellschaft mit zunehmend automatisierter Produktion muss bis zu diesem – unwahrscheinlichen – Punkt keineswegs zwangsläufig eine Gesellschaft mit bedingungsloser Absicherung der Menschen sein.
Literatur
Gorz, André: Kritik der ökonomischen Vernunft. Sinnfragen am Ende der Arbeitsgesellschaft. Hamburg 1994.
Gorz, André: Arbeit zwischen Misere und Utopie, Frankfurt/Main 2000.
Gorz, André: Weltkrise, schrumpfendes Wachstum und Ausweg aus dem Kapitalismus, in: André Gorz, Auswege aus dem Kapitalismus. Beiträge zur politischen Ökologie. Zürich 2009, S. 79-90.
Kropotkin, Peter: Der Wohlstand für Alle!; https://www.anarchismus.at/anarchistische-klassiker/peter-kropotkin/130-kropotkin-der-wohlstand-fuer-alle
Leontief, Wassily W.: Die Verteilung von Arbeit und Einkommen, in: Norbert Reuter, Wachstumseuphorie und Verteilungsrealität. Wirtschaftspolitische Leitbilder zwischen Gestern und Morgen. Marburg 2007, S. 165-179.